(Dies ist die deutsche Version des Artikels von John Barry, Übersetzung von MANNdat.)
Als Hillary Clinton 1998 sagte, dass „Frauen schon immer die Hauptopfer des Krieges waren“, hat dies vielen einen Schauer über den Rücken laufen lassen. Es ist ein fragwürdiges Stück emotionaler Aufrechnung zu behaupten, dass, obwohl Männer in größerer Zahl sterben als Frauen – oft nachdem sie unfreiwillig für den Kampf eingezogen wurden – die Auswirkungen auf Frauen größer sind, weil sie männliche Verwandte verlieren, zu Flüchtlingen werden und mit der Verantwortung der Kindererziehung allein gelassen werden.
Aber wenn Sie Clintons Aufrechnung für vernünftig halten, dann werden Sie kein Problem haben mit der Darstellung des „Gender Death Gap“ bei der COVID-19-Coronavirus-Pandemie. Vielleicht ist Ihnen aufgefallen, dass sich in den Medien (z.B. BBC, Guardian) und sogar in der Welt des Gesundheitswesens (z.B. WHO und Lancet) eine häufig wiederkehrende Darstellung um die Pandemie herum entwickelt hat: Es sterben mehr Männer, aber die wahren Opfer sind die Frauen. Darüber hinaus impliziert diese Darstellung in der Regel, dass der Tod von Männern weitgehend auf falsche Entscheidungen des Mannes über sein Gesundheitsverhalten zurückzuführen ist.
Sind die Todesfälle von Männern ihre eigene Schuld?
The Lancet mutmaßt, dass der Tod von Männern zusammenhängt mit „Verhaltensweisen assoziiert mit männlichen Normen“. Was meinen sie damit? Nun, zweifellos können einige dieser Verhaltensweisen die Gesundheit beeinflussen, und einige weisen geschlechtsspezifische Unterschiede auf. Zum Beispiel rauchen Männer mehr Zigaretten als Frauen und waschen sich seltener die Hände. Beide Verhaltensweisen wurden als Gründe dafür angeführt, dass Männer häufiger an COVID-19 sterben, vor allem, weil das Händewaschen die Infektionsgefahr reduziert und Rauchen die Lungenkapazität verringert, wodurch es für das Coronavirus leichter wird, sich dort festzusetzen.
Jedoch hält keine dieser Erklärungen einer Überprüfung stand. Das Händewaschen wirkt sich auf die Infektionsraten aus und es sind etwa gleich viele Männer und Frauen mit dem neuartigen Coronavirus infiziert. Dies erklärt also nicht, warum mehr Männer sterben, nachdem sie infiziert wurden. Was das Rauchen angeht, so rauchen in vielen Ländern Männer und Frauen mehr oder weniger gleich häufig (z. B. in Dänemark), aber Männer sterben trotzdem häufiger – 61 Prozent der dänischen Verstorbenen sind männlich (die Daten werden hier regelmäßig aktualisiert). Auch rauchen Kinder nur selten, so dass durch das Rauchen nicht erklärt wird, dass Jungen häufiger sterben als Mädchen. Dennoch wird das Rauchen immer noch als Erklärung für die höhere Rate der COVID-19-Todesfälle bei Männern angegeben, obwohl bereits am 16. März eine Studie veröffentlicht wurde, die zu dem Schluss kam, dass aktives Rauchen nicht mit der Schwere der Krankheit in Zusammenhang steht.
Künftige Daten werden sicherlich zu weiteren Erkenntnissen führen, aber im Moment gibt es keinen vertretbaren Grund, die größere Zahl der Todesfälle bei Männern auf das Rauchen oder das fehlende Händewaschen zurückzuführen. Tatsächlich sehen solche Erklärungen zunehmend nach einer Schuldzuweisung an die Opfer aus – d. h. jemandem die Schuld für sein eigenes Unglück zuzuweisen, ohne dabei andere Faktoren angemessen zu berücksichtigen.
Was erklärt den Geschlechtsunterschied in der Sterblichkeit?
Bei allen Säugetieren, einschließlich des Menschen, hat das Weibchen zwei X-Chromosomen, was ihrem Immunsystem einen Anpassungsvorteil gegenüber den Männchen verschafft, die ein XY-Chromosomenpaar haben. Mit anderen Worten: Es sind genetische Gründe, weshalb Männer häufiger an einer COVID-19-Infektion sterben, als Frauen. Dies wurde bereits in der Forschung zu Krankenhausaufenthalten mit dem männlichen Coronavirus anerkannt (veröffentlicht am 14. Januar), aber in den meisten Berichten wird diese Studie nicht anerkannt oder die genetische Erklärung heruntergespielt zugunsten von Verhaltenserklärungen, wie Rauchen und Händewaschen.
Warum geben wir immer wieder Männern die Schuld?
Männliches Verhalten wird oft als schlecht für ihre Gesundheit dargestellt, obwohl Untersuchungen gezeigt haben, dass die Umsetzung typischer Männerinteressen die körperliche und geistige Gesundheit fördern können. Es wird oft übersehen, dass typisch männliches Verhalten, wie das Eingehen von Risiken, für die Gesellschaft äußerst vorteilhaft sein kann. Am deutlichsten wird dies in den vor allem von Männern erbrachten Rettungsdiensten, bei denen das Eingehen von Risiken aufopferungsvoll sein kann – eine Person setzt sich selbst Gefahren aus, um einer anderen zu helfen. Tatsächlich setzen sich Männer und Frauen in einer Weise der Ansteckungsgefahr aus, die auch anderen zugute kommt (z. B. medizinisches Personal, Lieferwagenfahrer, Soldaten, Supermarktkassierer, Müllmänner und andere) und sie alle verdienen Anerkennung.
Diese negative Darstellung von Männern birgt die Gefahr einer Verschärfung des Gender Empathy Gap, der Teil einer größeren unbewussten Voreingenommenheit gegenüber Männern ist, welche kürzlich als ein Aspekt der Gamma-Voreingenommenheit identifiziert wurde. Evolutionspsychologen sagen, dass Frauen nach einer gewissen Sichtweise in der Tat wichtiger seien als Männer – für das Gedeihen einer Bevölkerung sind 100 Männer und eine Frau keine große Hilfe, während 100 Frauen und ein Mann wahrscheinlich viel produktiver sind.
Dies führt zu einem wichtigen Fazit: Vielleicht ist es normal, Frauen mehr zu schätzen als Männer. Mit Sicherheit wäre die Darstellung in den Medien eine völlig andere, wenn 65 Prozent der Todesfälle bei COVID-19 Frauen wären. Und es ist belegt, dass unsere Ansichten über die Gesundheit von Frauen viel mehr auf kausale Faktoren eingeht und zwar auf eine Weise, die nicht so leicht zu einer Schuldzuweisung an die Opfer führt. Es ist schwer vorstellbar, dass eine Politikerin verspottet und beschuldigt wird, wenn sie sich im Rahmen ihrer Arbeit mit dieser Krankheit angesteckt hat und dass sie dabei fast „einen für das Team einsteckt“ (d.h., tatsächlich stirbt).
Wie können wir diese Situation verbessern?
Ich sage nicht, dass Männer keine Verantwortung für ihr Gesundheitsverhalten übernehmen sollten, und ich fordere Männer dringend auf, in Bezug auf diese Pandemie angemessene gesundheitliche Ratschläge zu befolgen. Aber ich fordere auch einflussreiche Institutionen wie die WHO auf, darauf zu achten, dass sie nicht eine Darstellung verfestigen, die Männlichkeit stigmatisiert, oder die die Schuldzuweisung an die Opfer und die daraus resultierende Entmenschlichung der Männer fördert. Schließlich ist die WHO ein Teil der UNO und Artikel 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte besagt: „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und einem Gewissen begabt und sollen einander im Geiste der Brüderlichkeit begegnen“. Die Fokussierung auf unwahrscheinliche Ursachen der erhöhten Sterblichkeit von Männern an Coronaviren auf Kosten plausiblerer biologischer Faktoren wird uns nicht helfen, diese Krankheit zu verstehen oder eine Heilung dafür zu finden.
Es gibt keine ausreichenden Belege für die Begründung der COVID-19-Sterblichkeit mit dem männlichen Verhalten, aber was nicht überrascht, ist, dass sich nicht konstruktiv um die Gesundheit der Männer gekümmert wurde. Dies ist das Muster, das wir seit Jahren bei vielen Problemen von Männern beobachten können, darunter Selbstmord von Männern, männliche Opfer häuslicher Gewalt und Jungen, die in der Erziehung zurückbleiben. Meine Hoffnung ist, dass, wenn wir beginnen, mit der gegenwärtigen Pandemie mit mehr Einfühlungsvermögen und Menschlichkeit umzugehen, wir auch zukünftige Krisen harmonischer und effektiver bewältigen können.
Dr. John Barry ist Diplom-Psychologe, Mitbegründer des Male Psychology Network und Mitherausgeber des Palgrave Handbook of Male Psychology and Mental Health. Sein neues Buch Perspectives in Male Psychology (Perspektiven der männlichen Psychologie) wird im Laufe dieses Jahres bei Wiley veröffentlicht. Sie können ihm auf Twitter @MalePsychology folgen.
Dieser Artikel wurde erstmals von John Barry auf Quillette veröffentlicht. Wiederveröffentlichung wird gewährt.
Bild: AdobeStock 333546126 von Angelina Bambina